Warum wir manchmal „verlieren“ – und dabei gewinnen
Vistano Beraterin Mechthildis - Beraterblog
Über Boshaftigkeit, stille Stärke und das Menschbleiben in unmenschlichen Zeiten
Es gibt Menschen, die haben sich eine ganz bestimmte Fähigkeit über Jahre hinweg antrainiert: das gezielte Verletzen mit Worten. Nicht nur gelegentlich im Affekt, sondern mit Planung, Übung und einem fast schon künstlerischen Anspruch. Sie sind Rhetoriker des Schmerzes. Meister der Demütigung. Virtuosen der Verachtung.
Und wenn wir diesen Menschen begegnen – sei es in beruflichen E-Mails, auf sozialen Medien, im Gespräch oder in schriftlichen Auseinandersetzungen – spüren wir manchmal etwas sehr Merkwürdiges: Die Worte bleiben uns im Hals stecken.
Wir, die sonst eloquent sind, differenziert, sogar schlagfertig – wir stehen plötzlich sprachlos da. Oder unsere Antwort klingt hilflos, weichgespült, beinahe peinlich. Unbeholfen. Wie ein Kind, das zum ersten Mal versucht, sich gegen einen Erwachsenen zu behaupten.
Und dann stellen wir uns die Frage:
Warum kann ich nicht einfach genauso scharf, spitz und brillant zurückschlagen?
Die Antwort ist unbequem – und befreiend zugleich.
Weil wir das nie geübt haben. Weil wir das nie wollten. Weil unsere Sprache nicht auf Zerstörung ausgerichtet ist. Wir sind keine Fechter der Boshaftigkeit. Wir haben keine Jahre darin investiert, andere Menschen zu entwerten, bloßzustellen oder seelisch zu treffen. Wir haben keine giftige Rhetorik perfektioniert.
Und das ist – bei aller gefühlten Ohnmacht – etwas sehr Gutes.
Denn der Mensch, der in Boshaftigkeit glänzt, mag äußerlich stark wirken. Souverän. Kühl. Unerschütterlich. Doch oft liegt unter dieser glänzenden Oberfläche eine tief verwurzelte Selbstverachtung. Das Gift, das er versprüht, hat er vorher selbst geschluckt – über Jahre. Seine scharfen Worte sind nicht nur gegen andere gerichtet, sondern auch gegen sich selbst. Wer ständig andere erniedrigt, spricht aus einem Abgrund, den man nicht sehen, aber fühlen kann.
Solche Menschen trainieren nicht nur, sie verwandeln sich.
Sie werden zu Maschinen, die analysieren, zielen, verletzen – präzise und wirkungsvoll. Und während wir noch überlegen, wie wir unsere Gedanken in einem respektvollen Ton ordnen können, haben sie längst zehn Dolche geworfen. Jeder trifft.
Und dennoch: Wir sollten niemals versuchen, es ihnen gleichzutun.
Denn um das zu tun, müssten wir unser Inneres umbauen. Wir müssten lernen, uns regelmäßig in Hass zu baden, Zynismus zu kultivieren, Empathie zu unterdrücken. Wir müssten unsere Menschlichkeit ablegen wie ein zu enges Kleid und etwas Kaltes anziehen. Und wenn wir das lange genug tun, wird es nicht mehr gespielt sein. Es wird echt. Und wir wären nicht mehr wir selbst.
Also ja – wir „verlieren“. Aber nicht wirklich.
Wir verlieren nach den Regeln eines Spiels, an dem wir nie teilnehmen wollten.
Wir verlieren den Wettstreit im Besser-Zischen, im Cleverer-Verachten, im Kunstvoller-Verletzen.
Aber wir behalten unsere Integrität. Unsere Menschlichkeit. Unsere Seele.
Wir behalten das, was man nicht mit Schlagfertigkeit ersetzen kann:
Mitgefühl. Innere Ruhe. Die Fähigkeit, anderen Raum zu lassen. Die Kraft, nicht zu reagieren – sondern zu entscheiden.
Manchmal ist Schweigen eine Antwort.
Manchmal ist eine ruhige, sachliche Reaktion lauter als jeder scharfe Konter.
Und manchmal ist die größte Stärke, nicht zurückzubeißen.
Denn: Wenn du dich weigerst, so zu werden wie der, der dich angreift – dann hast du vielleicht verloren.
Aber du hast dich selbst nicht verloren. Und das ist mehr wert als jeder „Sieg“.
Bleib du selbst. Auch wenn du manchmal sprachlos bleibst.
Es ist keine Schwäche, nicht zurückzuschlagen.
Es ist ein Zeichen von Stärke, auf deine eigene Art zu antworten – menschlich, klar, ruhig.
Und es ist ein Akt des Mutes, sich nicht auf das Niveau derer zu begeben, die gelernt haben, mit Worten zu zerstören.
Lass sie zischen, beißen, springen, spotten.
Überlass ihnen die Bühne, wenn sie sie brauchen.
Und geh weiter – nicht als Verlierer, sondern als jemand, der den Weg des Menschen gewählt hat.
Nicht des Spiegels.