Rider-Waite-Kartendeck
Das Rider-Waite-Kartendeck ist knapp seit hundert Jahren in Umlauf. Es ist eins der beliebtesten Decks, da es mit seinen simplen aber klaren Darstellungen die Essenzen der Karten auf den Punkt bringt. Was unterscheidet das Rider-Waite-Kartendeck von anderen und warum ist es überhaupt entstanden?
Die goldene Dämmerung
Eine der einflussreichsten spiritistischen Gesellschaften Europas war am Ende des 19ten, Anfang des 20sten Jahrhunderts die Gesellschaft der goldenen Morgenröte („Order of the Golden Dawn“). Diese Gesellschaft war von Freimaurern und Rosenkreuzern in England begründet worden und erfreute sich großer Beliebtheit. Berühmtheiten wie Schauspieler aber auch Wirtschaftsmagnaten und Adlige waren Mitglieder dieser Vereinigung, die sich auf die hermetischen Lehren berief, die bis in die Antike zurück gehen sollen. Nachdem die letzten Tempel in den 1970ern schlossen, wurden ihr Wissen Anfang der Zweitausender Jahre im Bugwasser der „Open Source“-Bewegungen unter Programmieren wieder einer größeren Interessengruppe bekannt.
Die dieser Bewegung zu Grunde liegenden Schriften über Metaphysik, Magie und Kosmologie gehen auf Hermes Trismegistus zurück, einen angeblichen antiken Weisen und Gelehrten. Wahrscheinlich ist jedoch, dass er niemals wirklich als Person gelebt hat, sondern der „Hermetische Korpus“ von anderen Autoren unter seinem Namen zusammengestellt wurde, die sich wiederum auf den ägyptischen Gott Toth und den griechischen Gott Hermes beriefen. Heute Laien unbekannt, war der ominöse Hermes Trimegistus für viele christliche Gelehrte wie Augustinus über die Jahrhunderte ein respektierter und referenzierter Prophet. Aus diesem Gedankengut und dem Umfeld der Gesellschaft der Goldenen Dämmerung entstand Anfang des letzten Jahrhunderts unter der Leitung von Arthur Edward Waite und Pamela Colman Smith das Rider-Waite-Kartendeck.
Alte Weisheit in neuen Farben
Zu den Karten allgemein gibt es zwei Entwicklungspfade. Zum einen die Tradition der Verschlüsselung von okkulter oder metaphysischer Weisheit in Symbolen, die nur den eingeweihten verständlich sind, die diese jedoch zur Weissagung nutzen können. Auf der anderen Seite spielen Menschen wahrscheinlich schon seit der Entdeckung des Papyrus mit „Karten“, auf denen sich Bilder befinden. Der Legende nach wurden diese beiden Nutzungen von Bildern in Ägypten vereint, um die antiken Weisheiten vor dem Verlust zu bewahren. Also wurden sie auf Spielkarten gemalt, damit sie so immer im kollektiven Gedächtnis bleiben würden. Tatsächlich gibt es über die Zeit des Mittelalters Indizien dafür, dass ähnliche Kartenspiele genau zum Spielen verwendet wurden. Jedoch wurden die Bilder immer wieder durch die gerade Herrschenden ausgetauscht.
In der islamischen Kultur fand sich im Mittelalter jedoch noch ein Kartenset, dass auch zu spiritistischen Zwecken genutzt wurde. Herr Waite war nun am Anfang des 20ten Jahrhunderts in einer esoterischen Tradition eingeweiht, die sich genau auf dieses alte Wissen der Ägypter und später Griechen berief. Er hatte diese Traditionen intensiv studiert und nahm es sich vor, das Deck wieder zu seiner Ursprünglichen Bestimmung zurück zuführen. Dazu arbeitete er mit einer erfolgreichen Illustratorin ihrer Zeit zusammen, Frau Smith. Angeblich war sie Synästhetikerin und dadurch erfolgreiche Malerin. Sie hatte bereits Umschläge für Bücher bekannte Autoren ihrer Zeit wie Bram Stoker oder Yates erstellt – die übrigens auch Mitglieder der Goldenen Dämmerung waren. Auch Mitglied der Goldenen Dämmerung war Aleister Crowley, der ebenfalls ein bekanntes Karten-Set erstellte. Es könnte also tatsächlich sein, dass in dieser Zeit die geheime Bedeutung der Karten wiederentdeckt wurde.