Was ist Tantra-Yoga?
Leitet man das Wort Tantra nur von der Sanskritwurzel tan für „ausdehnen“ ab, so erhält man die Bedeutung „allumfassendes Wissen“ oder „Ausbreitung des Wissens“. Betrachtet man das gesamte Wort Tantra in Sanskrit, so steht es für „Gewebe“, „Zusammenhang“ und „Kontinuum“. Es ist schwierig Tatra in eine Richtung weisend zu definieren.
Benoytosh Bhattacharyya, ein indischer Gelehrter und Tantra-Spezialist, hat folgendes zu diesem Konflikt gesagt: „Die Definitionen von Tantra durch Sanskrit-Forscher ähneln den Beschreibungen, die blinde Männer von einem Elefanten geben.“ Die erste Assoziation, die sich Dir sicher aufdrängt, hat mit Sexualität zu tun, aber Tantra ist eher eine religionsübergreifende spirituelle Bewegung.
Es wird auch als spirituelle Lebensweisheit, als innere Haltung, definiert. Es dreht sich um die Art und Weise sich selbst zu sehen und auf andere Menschen zu zugehen. Tantra sieht das Universum als ein Zusammenspiel der göttlichen Prinzipien Shiva (Bewusstsein) und Shakti (Energie), die im Grunde genommen eine göttliche Einheit darstellen. Daraus resultiert, dass es im Tantra nichts Schlechtes, sondern nur Gutes und Göttliches gibt. Ziel ist, dass man durch Energiearbeit die Einheit von beidem wahrnehmen lernt. Lernschritte auf diesem Weg sind die Annahme des eigenen Selbst (Selbstliebe), das Leben im Hier und Jetzt und den Anderen so zu lieben, wie er ist (bedingungslose Liebe).
Was sind die Ursprünge von Tantra-Yoga?
Die ältesten tantrischen Schriften stammen aus der Zeit um Christi Geburt. Aufgrund von archäologischen Funden kann aber von weit älteren Wurzeln ausgegangen werden. Die ältesten datierten Funde stammen aus der Zeit ca. 3.000 vor Christi Geburt. Im Indien des frühen Mittelalters fand es seine größte Entfaltung. Entstanden ist der Tantrismus vermutlich aus dem Kult um die Muttergöttin. Tantra war in Indien religionsübergreifend. Es gibt hinduistisches, buddhistisches, sikkhistisches Tantra, tantrische Einflüsse im indisch-islamischen Sufismus und sogar im chinesischen Taoismus.
Die tantrischen Lehren wurden in Indien von einer Generation zur nächsten weitergegeben, zunächst mündlich und auch in Form von Ritualen; später in schriftlicher Form als Tantras. Diese Sanskrittexte sind meist Dialoge zwischen Shiva, der personifizierten männlichen Kraft und Shakti, der personifizierten weiblichen Kraft. Sie behandeln zum einen wissenschaftliche und metaphysische Fragen. Zum anderen werden Übungen für Körper und Geist beschrieben, wie beispielsweise Yoga (asana), Meditation, Bilder, Musik (mantra), Klang und Handbewegungen (mudra).
Gibt es verschiedene Formen von Tantra-Yoga?
Grundsätzlich gibt es zwei große Unterteilungsmöglichkeiten von Tantra-Yoga. Zum einen spricht man von rechts- und linkshändigem Tantra. Im Weg der linken Hand der ist eher sexuelle Praxis und leidenschaftliches Verhalten integriert, der rechtshändige Weg steht für läuternde Rituale und strenge Disziplin. Relevant ist hier die absolute Hingabe an die göttliche Mutter. Zum anderen kann man Tantra-Yoga in schwarzes, rotes und weißes Tantra unterteilen. Hier werden unterschiedliche Arten und Instrumente der Energiearbeit mit unterschiedlichen (Unter-)Zielsetzungen gepflegt.
Wie wird Tantra-Yoga hier im Westen praktiziert?
In der westlichen Welt, also vor allem Europa und Nordamerika, hat das Tantra-Yoga im letzten Jahrhundert deutlich an Bedeutung zugenommen. Allerdings hat sich hier der Schwerpunkt verschoben. Es sind zunehmend sexuelle Aspekte, wie das Streben nach der Verbesserung der Orgasmusfähigkeit und spirituell-sexueller Befreiung und Wohlfühlen, die in den Vordergrund treten. Wichtige Namen hierbei sind der britische Okkultist und Magier Aleister Crowley und Bhagwan Shree Rajneesh, der Begründer der Sannyasin-Bewegung. Bhagwan bezeichnete seine Lehre, die Kombination aus Spiritualität und Sexualität auch als Neotantra, also eine neue, zeitgemäße Form des Tantra.